Maria hatte zu Gottes Plan, Gottesmutter zu werden, Ja gesagt, obwohl sie sich in keiner Weise vorstellen konnte, was mit ihrem Ja im Einzelnen auf sie zukommen würde. Dass es sich um den Willen Gottes handelte, genügte ihr für ihr Ja. Aber die Schwierigkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Josef beginnt darüber nachzudenken, wie er sich von ihr trennen kann. Ihre Eltern und Verwandten werden ihr sehr skeptisch gegenüber gestanden haben: »Empfangen vom Hl. Geist« – wer soll das glauben? Noch nie hat es so etwas gegeben. Maria gerät in Not. Sie kann nicht beweisen, dass sie die Wahrheit sagt. Wie nur kann sie sich Luft verschaffen und Anerkennung finden?
Bei diesem ringenden Suchen werden ihr die Worte des Engels eingefallen sein, der erwähnte: Bei Gott ist Unvorstellbares möglich. Und als Beispiel nannte er ihre bereits im sechsten Monat schwangere Verwandte Elisabeth, die ein Leben lang unfruchtbar war. Nicht im fortgeschrittenen Alter, was man als eine Spätentwicklung deuten könnte, sondern hochbetagt wird ihr Mutterschaft geschenkt. Zu ihr macht sich Maria auf den Weg. Von Elisabeth erhofft sich Maria, dass ihren Worten »empfangen vom Hl. Geist« geglaubt wird.
Und sie hat Glück. Elisabeth hat Gottes Güte und Erbarmen erfahren und weiß: Bei Gott ist nichts unmöglich. So kann sie an das Wirken Gottes auch bei Maria glauben. Es wird berichtet: Als Maria das Haus betritt, wird Elisabeth vom Hl. Geist erfüllt und erkennt in Maria die »Mutter des Herrn«. Feinfühlig nimmt sie bei der Begrüßung Mariens das Hüpfen des Kindes in ihrem eigenen Leibe wahr. Elisabeth deutet es als zusätzlichen Hinweis Gottes für sie, in Maria eine Begnadete Gottes zu sehen. So bricht sie in einen Lobpreis auf Maria aus. Als Segen, als Geschenk erlebt Elisabeth den Besuch Mariens in ihrem Haus. Sie, Elisabeth, die oft weinen musste, weil sie von vielen Menschen wegen ihrer Unfruchtbarkeit geschnitten, verspottet, ja einer Strafe Gottes für heimlich begangenen Sünden verdächtigt wurde, darf der Mutter des Herrn begegnen und ihr Unterkunft und Geborgenheit gewähren. Alles in ihr jubelt. Noch oft wird sie mit Maria, die auf ihren Willkommensgruß hin einen Lobhymnus auf Gott anstimmt, diesen Lobpreis während des dreimonatigen Aufenthalts Mariens in ihrem Haus gesprochen haben.
AUFTRÄGE GOTTES AN UNS
An Maria und Elisabeth können wir betrachten, dass Gott Aufgaben an Menschen übergibt. Maria darf Jesus Mutter sein, Elisabeth darf und soll Maria, dieses noch junge Mädchen, trösten, aufbauen, bestärken. Auch wir dürfen daran glauben und versichert sein, dass Gott Aufgaben für uns vorgesehen hat, wie klein, gering und unbedeutend man uns auch einstufen mag. Wenn wir nur genügend Gottvertrauen und Verbundenheit mit ihm aufbringen, werden wir sehr schnell verstehen und erahnen, wann sein Anruf an uns ergeht.
· Da wendet sich jemand mit einer Frage, einem Anliegen, einer Bitte ausgerechnet an uns. Es muss sich nicht um etwas besonders Großes oder ganz Wichtiges handeln. Aber dass er ausgerechnet zu mir kommt, sollte uns nicht entgehen. Es könnte ein Auftrag an uns sein.
· Ich begegne dem Nachbarn, der ein bisschen komisch ist und daher von allen geschnitten und gemieden wird. Verstehe ich die neuerliche Begegnung mit ihm, die ich nicht angestrebt habe, als Anruf, eine Annäherung zu versuchen, um die vorhandene Kluft zu verkleinern?
· Wir geraten in ein Gespräch, das sich immer mehr hochgeschaukelt, weil nur noch die Gegensätze geschildert und benannt werden. Fühle ich mich angesprochen, das Gemeinsame zu benennen und nach einem Vorschlag Ausschau zu halten, wie ein friedliches Miteinander trotz unlösbarer Gegensätze gestaltet werden kann?
· Ich stelle fest: Ich bin nicht so eng in die Arbeit eingebunden, dass mir überhaupt keine Zeit mehr bliebe, entsprechend meiner Kraft Hilfe anzubieten. Fühle ich mich herausgefordert anzupacken, Gutes und Wertvolles mitzugestalten?
Achten wir die Aufträge Gottes an uns nicht gering, auch wenn sie nicht die Größe haben, die an Maria und Elisabeth ergingen. Die Liebe in ihrer Vielfalt immer wieder in den Alltag einbringen ist in der Summe eine große Aufgabe, auch wenn sie sich aus vielen kleinen Begebenheiten und Situationen zusammensetzt. Wer im Großen wie im Kleinen Ja sagt zum Willen Gottes und den sich ihm stellenden Aufgaben, der wird wie Maria Aufnahme in den Himmel erfahren. Das ist die Botschaft, die jeden von uns erreichen und bestärken soll.
Diese Zusage Gottes an uns gilt es neben der Verehrung Mariens am heutigen Tag in besonderer Weise zu feiern. Wie Maria und Elisabeth hat Gott auch uns dazu erwählt, zum Heil der Menschen beizutragen. Mit dieser beglückenden Gewissheit im Herzen sollten wir jedes Jahr das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel feiern, nach der Liebe jeden Tag streben und so vertrauensvoll unserem eigenen Fest der Aufnahme in den Himmel entgegengehen. Pater Klemens Nodewald (2017)